Lizzy Mercier Descloux


Im Hintergrund hört ihr die Lower East Side in New York und dahin entführt euch diese Radiosendung. Nicht nur ihr seid da nun gelandet im fernen New York, sondern auch Lizzie Mercier Descloux ist da gelandet im Jahr 1975, eine in Paris geborene Kunststudentin auf Urlaub, beinah so schön anzusehen wie die 18jährige Eszter Balint aus dem Jim Jarmusch-Film Stranger than Paradise…Lizzie Mercier Descloux wäre nämlich vor ca nem halben jahr 60 jahre alt geworden, wäre sie nicht schon 2004 gestorben. Dazu kommt noch, dass sie exemplarisch für den übergang von punk zu ungleich unlokaleren musikstilen stehen könnte, obgleich punk ja nicht so eindeutig eine bloss lokale angelegenheit gewesen ist. Ja, eigentlich ist die sehr spezielle odyssee der punks auf interessante art und weise in eng umgrenzten lokalen szenen gediehen, wie auch andererseits in immer entlegenere gefilde hinübergeschwappt. Doch beginnen wir zu beginn…Lizzy Mercier ist im Dezember 1956 in Paris geboren, besucht eine kunsthochschule und wohnt bei ihren grosseltern. Ihren vater kennt sie nicht und ihre mutter ist eigentlich nie da… bei ihr gegenüber ist 1974 einer der ersten klamotten- und plattenläden, der sich für die vorläufer von dem was mal punk werden sollte interessiert, der laden heisst harry cover. ..der besitzer des klamottenladen findet die 17jährige lizzy toll, er sieht sie auf ihrem fahrrad zur ecole des beaux arts fahren und heftet einen zettel an ihr rad, das er gern mal mit ihr einen kaffee trinken würde. Langer rede kurzer sinn, der besitzer, der 23jährige kunststudent michel esteban freundet sich mit lizzy an.

Michel Esteban fährt 1975 mit Lizzy nach New York, sie lernen Patti Smith und Richard Hell kennen, sie wohnen im Chelsea Hotel und gucken sich die legendären konzertorte an, max kansas city und das cbgbs…Michel Esteban gibt von 1975 bis Ende 1976 in Paris eine Zeitschrift namens Rock news heraus, für die auch lizzy schreibt…

1976 fahren sie zum ersten punk festival in den 100club in london und sehen da die sex pistols und the clash, auch die stinky toys aus paris spielen am ersten tag, eine paris-london-new york-verbindung existiert schon eine ganze weile… 1977 fängt michel esteban dann an selber platten zu produzieren, eine single von marie & les garcons, die er zusammen mit john cale produziert.1978 ziehen die beiden nach New York, teilen sich eine Wohnung zusammen mit Patti Smith in SoHo, im südlichen manhattan… 1978 hilft er dann john cale das plattenlabel spy zu etablieren und gründet anschliessend sein eigenes label ze records, zusammen mit michael zhilka, einem britisch-irakischen millionenerben… lizzy freundet sich mit richard hell und patti smith an und veröffentlicht zusammen mit den beiden 1977 ein schmales bändchen mit gedichten und zeichnungen von patti smith… ungefähr zur gleichen zeit lernt sie gitarre spielen und gründet mit dem bruder von michel esteban, nämlich didier esteban das musikalische projekt rosa yemen…

Und das klingt ungefähr so: ihr hört nun herpes simplex und Larousse Baron Bic aus dem jahr 1978…in new york gab es damals eine szene, die grossteils den kunsthochschulen der ostküste entsprungen war und der new wave-idee eine spezielle minimalistische no wave-idee zugefügt hat…vielleicht nicht ganz zufällig in new york, denn bands aus dieser szene wie mars, dna oder theoretical girls hatten sich vielleicht schon ein bisschen was von der new yorker tradition des theatre of eternal music der 60er jahre abgeguckt, jedenfalls waren sie gegen allzu starre rockklischees. Die hatte nämlich auch der new yorker punkrock noch verinnerlicht… und so klingt der antirockistische gegenentwurf, bevorzugt mit thema krankheit…herpes simplex…

das war richard hell höchstpersönlich, den ihr da gehört habt, mit dem lied „time“. Richard hell und lizzy mercier descloux waren eng befreundet, 1996 hat richard hell den roman „go now“ veröffentlicht, in dem eine gewisse „chrissa“ mit einem gewissen billy, den man nur unschwer als fiktive variation der persönlichkeit richard hell erkennen kann in einem alten auto durch die usa reisen…“chrissa“ wiederum ähnelt der realen lizzie mercier descloux doch sehr… angesiedelt ist der roman im jahr 1980, kreist aber eher um die heroinabhängige selbstbezogene persönlichkeit billy mud, als um die fotografin chrissa. Darin beschreibt er sie so: „Ich habe sie 1975 kennen gelernt, als sie von frankreich zum ersten mal kurz new york kam. Sie hat kaum englisch gesprochen. Sie war 17 und ich war 24. // Im Verlauf von drei Wochen, die sie zu Beginn hier war, hat sie mich sehr berührt und mich bewegt und ist ein Teil von mir geworden, sie liess mich sehr ausser Atem zurück… Ich kann es noch in meinem Bauch fühlen, wenn ich drüber nachdenke…als ob ich das infizierte opfer in einem dieser filme mit ausserirdischen parasiten wär, die in die körper der menschen eindringen, als ob mein herz und meine lunge möbel wären, die sie vielleicht rausschmeisst, auf jeden fall aber umarrangiert wie es ihr passt. Sie schien aus einer anderen Dimension zu kommen…“. Der Roman offenbart ein gewisses Mass an Schuldgefühlen der Hauptfigur Billy Mud gegenüber Chrissa, aber auch ein Interesse an der düsteren Seite von Beziehungen, die auch in Liedtexten von Lizzy Mercier Descloux eine Rolle spielt, wir hören die Lieder „Tumor“ und „Jim on the move“ von ihrer zweiten Platte „Press Color“, die 1979 auf ZE Records rauskam…

Das Lied das ihr zuletzt gehört habt, war „Fast money music“ von Suicide, 1980 auf der zweiten Platte von Suicide. ZE Records hat zu dieser Zeit aber ganz verschiedene Musik durch den Fleischwolf gedreht, die performative und auf der bühne provozierende musik von Suicide und James White and the Contortions oder Lydia Lunch, aber auch so funkig bis motownmässige wie Was (not Was) oder Kid Creole and the Coconuts… Musikalisch bewegte sich die gerade noch ein Instrument lernende Lizzy Mercier eher in der 1978 entstehenden NoWave-Szene… Bands wie Mars oder DnA, Lydia Lunch mit ihren bandprojekten Beirut Slump und Teenage Jesus and the jerks, theoretical girls oder gynaecologists… mit vielen von denen war sie später zusammen auf ze records und die musiker aus diesem umfeld tauchten auch auf lizzies platten auf.. so z.b. arto lindsay von dna oder mark cunningham von mars… Mit der „Press Color“-Platte im Jahr 79 ging sowohl ZE Records als auch Lizzy aber auch in Richtung eines selbsterfundenen Discosounds mit einem Rhythmus ohne künstlich besonders verstärkte Beats, den man vielleicht auch auf die Band Suicide um die beidenco Künstler, Stoogesfans und Drumcomputerdilettanten Alan Vega und Martin Rev zurückführen könnte. 1980 kam dann passend dazu eine Disco-Compilation von ZE Records mit dem schönen Titel „Mutant Disco: a subtle discolation of the norm“ raus für den europäischen markt, die das alles zusammenbrachte und auf discokompatible 5-8 minutenlänge zurechtwalzte und auch von Diedrich Diederichsen in der Spex damals erfreut wahrgenommen wurde…wir vertiefen uns aber nochmal in Nichtnewyork und ähnliche verneinungen und hören dna, mars, lydia lunch und lizzy mercier…

die letzten beiden lieder waren „spooky“ von lydia lunch, von der platte „Queen of siam“, ebenfalls auf ZE Records 1980 erschienen und „no golden throat“ von der platte „press color“ von lizzy mercier descloux. Dabei wären wir bei einem ebenfalls naheliegenden thema, nämlich den möglichen rollenmodellen für musikerinnen und weibliche stars der no wave-szene… musikerinnen waren in den no wave bands beinah schon überproportional häufig vertreten im vergleich zu den punkbands, aber in ganz unterschiedlichen rollen, nicht ausschliesslich als sängerinnen. Interessant ist ja schon die persönlichkeit, die von den sängerinnen dann auf der bühne verkörpert wird. Gerade wenn man sich vorstellt, das ja viele künstler und künstlerinnen nicht gebürtig aus new york kamen und sie eben so wie nico zu velvet underground als eigentümliche menschen in seltsame lokale szenerien hineingeworfen wurden… eine art odyssee auf der man sich mit den monstern, die man da antrifft erstmal ganz gut versteht…man entweder immer weiter über die meere und inseln zieht oder sich doch eher in inneren abgründen verstrickt, im grunde könnte man auch den richard hell-roman „go now“ so verstehen…Über die Meere und Inseln verstrickte sich auch Lizzy Mercier Descloux. Nachdem die Platte „Press Color“ schon leicht funkige, mambomässige Ansätze hatte, ging sie erstmal auf Reisen, drehte mit ihrem Freund, dem Filmemacher Seth Tillet Kurzfilme in Italien. Ihre nächste Platte „Mambo Nassau“ nahm sie dann mit den französischen Sessionmusikern Wally Badarou und Yann Leker auf den Bahamas-Inseln auf. Sie versuchte sich afrikanischen Sounds anzunähern und gleichzeitig eine verwirrende stilvielfalt zu pflegen, imaginäre disco eben. Die Platte wurde von dem jamaikanischen Produzenten Steve Stanley aufgenommen, der auch Grace Jones und Tom Tom Club abgemischt hatte. Nun hören wir noch ein paar sängerinnen auf ZE Records, erstmal lizzy mercier descoux mit einem lied von der besagten dritten platte „mambo nassau“, dann esg, die nicht auf ze records waren, aber zumindest gebürtig aus new york und dann nochmal lydia lunch von ihrer platte „queen of siam“ auf ze records…

der no wave szene wurde vorgeworfen eine ziemlich weisse szene zu sein, das war sie und blieb sie auch, aber ze records hatte dann schon einige übergänge zu funkigen und motown-klängen in form so erfolgreicher bands wie kid creole and the coconuts, was (not was), oder material um den bassisten bill laswell. in die musik von lizzy mercier descloux kamen die funkigen klänge in form von gemeinsamen projekten daher und auch in form von cover-versionen und annäherungen an vorformen von sowas wie weltmusik, das damals so konzentriert in der plattenindustrie noch nicht existierte.sie coverte kool & the gang, das original von funky stuff wurde 1973 veröffentlicht und wir hören fire, im original von arthur brown ca 1968… dann noch james white and the blacks mit contort yourself,

Die Discolation oder Dislocation von ZE Records hat natürlich auch die ursprünglichen schrägen No Wave-Sachen so ein bisschen aus dem Zentrum der Plattenproduction verdrängt, mal davon abgesehen, das die Konzertorte für die No Wave Szene um 1982 rum langsam stagnierten, die schräge Szene wurde in die üblichen Kunsträumchen zurückverwiesen, wo immer noch genug platz war für all die eugene chadbournes, rhys chathams und john zorns dieser welt. Das war vielleicht auch für ZE Records ein Problem, die Plattenproduktion war um 1982 zwar immer noch äusserst vielfältig, z.b. kam auch die grossartige „music for a new society“ von john cale in zusammenarbeit mit dem grösseren indie „island records“ auf ZE raus, aber die erfolgreichen bands wie kid creole & the coconuts dominierten die Produktion. Um 1982 herum verliess Michel Esteban ZE Records, das Label hielt noch bis 1984 durch, aber das Spagat zwischen zugänglichen und schrägen Sachen war verlorengegangen. Raus persönlicher vorliebe muss ich noch mal die verbindung zu den ursprünglichen schrägen, minimalistischen sachen hervorheben, namentlich zu arto lindsay von der band dna, der hat verschiedentlich zu aufnahmen von lizzy mercier descloux beigetragen… wir hören etwas altes von dna und neue aufnahmen aus der unmittelbaren gegenwart

was mir an der rosa yemen-platte von lizzy mercier descloux gefallen hat, war die darin enthaltene melancholie, die man auch bei lydia lunch wiederfindet, gloomy sunday von lydia lunch und hard boiled babe von rosa yemen. Diese melancholie passt auch nochmal ganz gut zu dem erwähnten roman „Go Now“, in dem die Kunstfigur „Chrissa“, die Lizzy so sehr ähnelt Fotografin ist und ausgesprochen kunstvolle, aber traurige Bilder von Amerika macht. In gewisser Hinsicht spiegelt sich die Oberflächlichkeit der cleveren, aber konstruierten imaginären Disco, die Oberflächlichkeit von Pop in dem Konflikt zwischen den traurigen Romanfiguren Billy Mud alias Richard Hell und Chrissa alias Lizzy…Darin verborgen ist auch eine heimliche Konkurrenz zwischen Fotografie und Text, wie man sie vielleicht auch in texten von susan sontag zur fotografie beschrieben finden könnte.

die platten von lizzy mercier descloux wurden nie richtig erfolgreich, obwohl sie viel tourte und gemeinsame projekte mit musikern aus aller welt anfing. Zumindest einen hit in frankreich hatte sie noch 1984 mit dem song „Mais Où Sont Passées Les Gazelles“. Der war auf ihrer dritten lp „zulu rock“. Nachdem mambo nassau auf den bahamas-inseln aufgenommen worden war, führte sie zulu rock nach südafrika. Sie versuchte dort mehr oder weniger erfolgreich mit südafrikanischen musikern in soweto zusammenzuarbeiten, was unter den bedingungen der apartheid im jahr 1983 nicht ganz einfach war. die platten danach wiederholten die vorhergehenden musikalischen rezepte, suspense im jahr 1988 stellte das ende dar, nochmal mit mark cunningham von mars aufgenommen ging es zumindest ein bisschen zurück zu den anfängen. Lizzy Mercier Descloux zog sich in den 90er Jahren aus der Musik zurück und widmete sich der Malerei… Gelegentlich nahm sie noch was auf, wie z.b. 1995 eine Version des Gedichtes “Matinée d’ivresse/Morning High,” von Arthur Rimbaud, zweisprachig vertont von Patti Smith und Lizzy Mercier Descloux, musikalisch untermalt von Bill Laswell, bekannt aus dem musikalischen Projekt „Material“ auf ZE Rccords…. 2004 ist Lizzy Mercier an einer Krebserkrankung gestorben. Die letzten Tage verbrachte sie am Meer, ähnlich wie Nico starb sie auf einer Insel, auf Korsika. Ihre Asche wurde im Meer verstreut und laut Legende schwammen Delphine hinter dem Boot her, von dem aus sie verstreut wurde. Dann hören wir Lizzys hit aus dem jahr 1984, „Mais Où Sont Passées Les Gazelles“. Wir beenden die sendung mit einem blick zurück auf die anfänge der untergrund-disco, dem super subway comedian von suicide…